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65 Jahre dampfendes Bawettchen

Nebenbahn durch Badenheim

Ja sogar eine richtige Dampfeisenbahn gab es einst in Badenheim. Der Volksmund bemächtigte sich damals schnell des Zuges und gab ihm den Namen "Babettche" oder auch "Bawettche". Die erste Frau, die mit ihm gefahren sei, soll nämlich mit Vornamen "Babette" geheißen haben. Am 11. Oktober 1888 wurde die Nebenbahn Sprendlingen Fürfeld eröffnet, welches "Ereignis sehnsüchtig erwartet" worden war. Die Darmstädter Zeitung Nr. 287 vom 25. Oktober 1888 enthält darüber folgende Mitteilung: "Die Eröffnung des Betriebes auf unserer Nebenbahn fand heute statt. Die Züge verkehren fahrplanmäßig, von der Lokomotive gezogen. Nachdem mit einigen Zügen des Vormittags die oberen Schulklassen der Volksschule unter Begleitung ihrer Lehrer abwechselnd eine Vergnügungsfahrt nach Sprendlingen hatten mitmachen dürfen, brachte ein Extrazug um 2 Uhr die Mitglieder des Gemeinderates sowie eine große Zahl besonders geladener Herren aus allen Ständen, aus dem Beamten- und Bürgerstande nach Sprendlingen. Dort fand ein Aufenthalt von einer Stunde statt. Vom Bahnhof aus begab man sich zum Zuge unter Vorantritt einer Musikkapelle, welche auch schon im Wagen gespielt hatte. Hier wurde ein frischer Trunk genommen und der erste Trinkspruch auf unseren hochgeliebten Großherzog, den Förderer aller gemeinnützigen Bestrebungen und insbesondere auch dieses Bahnprojektes, ausgebracht von dem Vorsteher der Präparandenanstalt August Stumpf. Der Premier-Leutnant der Reserve, Julius Moller, brachte ein Hoch auf Kaiser Wilhelm II. aus.Präparandenlehrer Lang hielt eine Ansprache, insbesondere auf den anwesenden Oberingenieur Rattke, Pfarrer Fabricius, auf den Gemeinderat, dem wir hauptsächlich die Bahn verdanken."

Freifahrten für alle wurden an diesem Tage weidlich genutzt. Besonders die Jugend tat sich hier hervor. Bereits am 6. Oktober 1888, ab Sprendlingen 9.50 Uhr, hatte eine "Obrigkeitliche Probefahrt" stattgefunden, an welcher ausser den Vertretern der Regierung, die Bürgermeister der an- und umliegenden Orte teilnahmen. Zwei Tenderlokomotiven, ein Personenwagen 2. und 3. Klasse, ein Personenwagen 3. Klasse, ein kombinierter Wagen 2. und 3. Klasse nebst Gepäck- und Postraum, ein offener Güterwagen und ein Bahnmeisterwagen konnten bewundert und bestaunt werden.

10 Jahre später, am 5. Oktober 1898 konnte die Bevölkerung mit der Betriebseröffnung der weiterführenden Linie Wöllstein-Fürfeld ein weiteres Fest begehen. Als der erste Zug den Bahnhof in Fürfeld anfuhr, bezeichnete man dieses Ereignis in den Reden der Bürgermeister als "Zeichen des Fortschrittes für die nunmehr dem Verkehr erschlossenen Gemeinden Fürfeld, Neu-Bamberg und Frei-Laubersheim" und charakterisierte den Tag als "Freudentag". Badenheimer Bahnhof um 1918

Ein stattliches Gebäude nebst Güterschuppen wurde der Bedeutung Badenheims als Umschlagplatz für Heu, Stroh, Kartoffeln, Getreide, Futter- und Zuckerrüben, Kohle und Koks sowie als "Umsteigebahnhof" für die mit der "Elektrisch" nach Bad Kreuznach Reisenden gerecht. Die Aufnahme entstand um 1918. Johanna Braner, Witwe., war 36 Jahre Bahnhofsverwalterin und stand damit im Dienste des "Flügelsrades", der Süddeutschen Eisenbahngesesellschaft (SEG). Für die Strecke Badenheim - Fürfeld benötigte man 1925 rund 40 Minuten. Durch Fahrplanverbesserungen schaffte man 1949 die Strecke in nur 30 Minuten. Gehalten wurde auch mal ausserplanmäßig, falls jemand den Zug verpasst hatte. Durch die kurvenreiche Strecke war die Fahrgeschwindigkeit auch einem Karusell vergleichbar, so dass man während der Fahrt auf- und abspringen konnte.

Die im Jahre 1911 erbaute 1-m-spurige elektrische Straßenbahn von Bad Kreuznach nach St. Johann kreuzte auf einer eigenen Brücke bei Badenheim das Bawettche. An dieser Stelle befindet sich heute die Unterführung der Autobahn A61 von Badenheim nach Sprendlingen.Brücke der  

Nach dem 2. Weltkrieg liefen viele Konzessionen der Bahnstrecke ab, wurden aber durch die Aufkündigung des Vertrages durch die Süddeutsche Eisenbahngesellschaft aufrecht erhalten. 1953 ging die Nebenbahn in den Bahnbetrieb durch die Deutsche Bundesbahn über. Noch im selben Jahr wurde der Personenverkehr wegen Unrentabilität auf der Strecke eingestellt. Man stellte auf Diesellokomotiven um. 1959 wurde der Streckenabschnitt Wöllstein - Fürfeld endgültig auch für den Güterverkehr eingestellt. Die letzte Fahrt im Güterverkehr auf der Strecke Sprendlingen - Wöllstein fand am 31. Juli 1973 statt. Die Demontage der Schienen fand im darauffolgenden Jahr statt. Es war ein Abschied der alle traurig stimmte. Die Zeit war über eine großartige Einrichtung privater Initiative hinweggegangen! Die Bevölkerung war um ein freizeitfreundliches Verkehrsangebot in der "Rheinhessischen Schweiz" ärmer geworden. Soll sie gut in Erinnerung bleiben!

Abschied des Bawettchens

Quelle: Teile aus dem Buch "Chronik der Nebenbahn Sprendlingen-Wöllstein-Fürfeld; 65 Jahre dampfendes Bawettchen von Lutz Ruppersberger; Verlag der Rheinhessischen Druckwerkstätte Alzey 1982